Wie ein Übersetzer seine Arbeitssprachen pflegt

01.09.2014 08:00 (0 Kommentare)

Keine echte Mehrsprachigkeit? – Kein Problem!

Lehrmaterial für die Zielsprache Englisch
Gutes Lehrmaterial ersetzt das zielsprachliche Umfeld.

Bilinguale Zeitgenossen verdanken ihre sprachliche Kompetenz normalerweise entweder ihren Eltern, die in unterschiedlichen Sprachräumen aufgewachsen sind, oder einem anderen polylingualen Umfeld, wie einem Land mit mehreren Amtssprachen. Nicht jeder mehrsprachige Jugendliche oder Erwachsene möchte seine Sprachfertigkeit jedoch zu seinem Beruf machen. Ein Großteil der über 40.000 in Deutschland tätigen Dolmetscher und Übersetzer hat seine Arbeitssprachen erst in der Ausbildung gelernt – oder noch später, beispielsweise während eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts. Da der Erwerb einer oder gar mehrerer Fremdsprachen ein lebenslanger Prozess ist, stellt sich die Frage, wie ein professioneller Sprachmittler im Berufsalltag seine Fremdsprachenkenntnisse bewahrt und ausbaut.

Ich stamme aus einem fremdsprachenunkundigen sozialen Umfeld und habe mir meine Sprachkenntnisse quasi im Selbststudium beigebracht, flankiert von einem qualitativ mäßigen Fremdsprachenunterricht während der Schulzeit. Meine Motivation dazu entstammte dem tiefen Wunsch, durch neue Sprachen neue Horizonte und dadurch flexiblere Möglichkeiten im späteren Leben zu entwickeln. Diese Motivation war groß genug, um mich nach der Schulzeit für ein Hochschulstudium mit dem Ziel eines Fachübersetzerabschlusses zu entscheiden. Die Perfektionierung der fremdsprachlichen Kompetenz gehörte nicht zum universitären Lehrplan – Eigeninitiative war deshalb der richtige Weg, die Arbeitssprachen zu verinnerlichen und das Studium erfolgreich abzuschließen.    

Sicherheit im Umgang mit den Arbeitssprachen

Als ich später nach einer langjährigen Berufspause als freiberuflicher Übersetzer in die Selbstständigkeit einstieg, gehörte die Reaktivierung der Fremdsprachenkompetenz zunächst zu meinen wichtigsten Aufgaben. Das passive Verständnis bei der Lektüre von Tageszeitungen oder Fachliteratur oder beim Lauschen von Radiosendungen und TV-Reportagen hatte zwar kaum gelitten, die aktive Sprechfertigkeit in meinen Arbeitssprachen Englisch und Französisch indes ließ mehr als zu wünschen übrig.

Bei der Arbeit als Fachübersetzer, in meinem Fall beim Übertragen von technischen Fachtexten ins Deutsche, spielt zwar die Kenntnis des Sachgebiets, auf das man sich spezialisiert hat, die entscheidende Rolle. Im Rahmen der Auftragsakquise, per E-Mail oder telefonisch, und nicht zuletzt beim Besuch von Messen und anderen Fachveranstaltungen mit internationalem Publikum ist allerdings eine flüssige Konversation in der Sprache des potentiellen Kunden, zumindest jedoch auf englisch, eine Grundvoraussetzung, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Lässt sich zu diesem Zweck ein längerer Auslandsaufenthalt nicht organisieren, bietet der Fremdsprachenmarkt heute ein breites Angebot an Möglichkeiten, seine Fertigkeiten auf allen Ebenen in Schwung zu bringen. Der Zeitaufwand dafür zahlt sich doppelt aus, denn das Verinnerlichen der linguistischen Feinheiten der Arbeitssprache geht meist Hand in Hand mit der Erweiterung der landeskundlichen Kompetenz. Es ist einfach ein schönes Gefühl, darüber auf dem Laufenden zu bleiben, welche Themen und Sichtweisen bei den Menschen im Zielsprach- und -kulturraum gerade „in“ sind.    

Die Grundlagen perfektionieren

Vor dem Hintergrund des schlecht strukturierten Sprachunterrichts in der Vergangenheit habe ich mich entschieden, beim Aufpeppen der Grundlagen systematisch vorzugehen. Die bewährte Reihe English in Use der Cambridge University Press bietet didaktisch und fachlich ausgezeichnetes multimediales Lehrmaterial, um Grammatik, Vokabular, Aussprache, Idioms, Phrasal Verbs und Collocations Schritt für Schritt bis zum höchsten Niveau aufzunehmen und zu behalten. Davon nehme ich mir derzeit täglich eine Einheit vor und marschiere zielstrebig durch die 16 vorliegenden Bände. Auch meinen Widerstand gegen das früher so verhasste Vokabellernen habe ich aufgegeben. Die Klett-Lernkartei mit ihrem Grund- und Aufbauwortschatz hebt sich deutlich von anderen Vokabeltrainern ab. Jeder Begriff und alle Wendungen werden in einem aktuellen Satzkontext vorgestellt. Meine Ambition ist, den gesamten Wortschatz von gut 10.000 Wörtern und Wendungen in Richtung Fremdsprache aktiv zu beherrschen. Das sollte genügen, um in allen Gesprächssituationen sprachlich zu bestehen.

Mit den sich laufend verbessernden Kommunikationstechnologien entstehen weitere Möglichkeiten, ein fremdsprachliches Umfeld in Ton, Bild und Text gleichzeitig zu erzeugen. So bietet BBC Learning English auf seiner Website sehr effektive Clips an, die sich durch Skripte und Übungen ergänzen lassen. Zu meinen Favoriten gehören die Apps The Flatmates mit umgangssprachlichen Episoden, The English we speak mit Modewörtern, die derzeit jeder englische Muttersprachler nutzt, sowie 6 minute English, eine App, in der in kurzweiligen Dialogen aktuelle soziokulturelle, politische und populärwissenschaftliche Themen durchgespielt werden. Diese von der BBC oder vom British Council angebotenen, in der Regel kostenfreien Apps in einer Länge von meist 1 bis 6 Minuten sind wahnsinnig praktisch und lassen sich in Arbeitspausen, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Park aufrufen und abspulen, bis man die Dialoge im Schlaf beherrscht.

Das fremdsprachliche Umfeld simulieren

Klassische Printmedien indes bleiben für mich die erste Wahl, um Fachvokabular und Fachkenntnisse zu trainieren. Als Technischer Übersetzer im Bereich Energietechnik füllt sich mein Regal langsam mit einschlägigen Fachbüchern in der Zielsprache, die ich in aller Ruhe nach und nach durcharbeite, um damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Fremdsprachige Tageszeitungen oder Zeitschriften indes abonniere ich nicht, weil schlichtweg die Zeit zum Durchlesen fehlt. Als Alternative beziehe ich allerdings schon seit Jahren World and Press und Revue de la Presse aus dem Schünemann Verlag. Die beiden kostengünstigen Blätter liefern einen Querschnitt von Originalartikeln der englisch- und französischsprachigen Tagespresse und erlauben mir einen Einblick in die Dinge, so wie sie unsere europäischen Nachbarn sehen.

Auch in diesem Bereich bietet sich die digitale Konkurrenz an. So habe ich vor einiger Zeit einen Twitter-Account eröffnet, der mir regelmäßig über Guardian Environment die neuesten Artikel mit Umweltthemen auf mein Smartphone schickt, während mich BBC Technology bei technologischen Neuentwicklungen kostenlos up to date hält. Gelegentlich, und damit rundet sich mein Sprach- und Fachkenntnislernprogramm ab, knüpfe ich mir einen speziellen Sprachkurs vor, der zu meinem Dienstleistungsangebot als Übersetzer passt. Gegenwärtig warten aus der Reihe Cambridge Professional English der Band English for Engineering sowie der multimediale Kurs Business English, der von der DIHK konzipiert wurde, auf meinem Schreibtisch. Dabei werden Sprach- und Sachkenntnisse kompakt kombiniert und von Muttersprachlern präsentiert.

Feste Gewohnheiten führen zum Erfolg

Der zeitliche Aufwand für das vorgestellte Programm lässt sich meiner Erfahrung nach gut bewältigen. Seitdem ich freiberuflich im Homeoffice arbeite, bin ich Herr über meine eigene Zeit und kann auch die Auftragslage, die von außen kommt, in hohem Maße selbst bestimmen. Die ersten beiden Stunden eines jeden Arbeitstags gehören konsequent und ohne Ausnahme der Sprachpflege. Dafür habe ich einen eigenen Schreibtisch eingerichtet, den ich nur für Lern- und Kreativarbeiten nutze. Die eigentliche Übersetzungs- und Büroarbeit erledige ich in einem anderen Raum. Diese Regelmäßigkeit, am frühen Morgen, wenn ich noch ausgeschlafen und guter Dinge bin, an einem eigens dafür vorgesehenen Ort führt dazu, dass mir das Lernen sehr leicht fällt. Genau genommen vermisse ich sogar etwas, wenn ich aufgrund eines Termins einmal früh aus dem Haus muss und das Programm nicht einhalten kann. Für mich ist das genau der richtige Weg und ich beobachte, wie sich meine Fremdsprachkenntnisse, interessanterweise auch die aktive Sprechfertigkeit, nach und nach optimieren.  

Zwei Fremdsprachen zugleich auffrischen?

Im ersten Jahr hatte ich mich auf die Reaktivierung meiner englischen Sprachkenntnisse konzentriert, weil die Ausgangssprache nahezu aller Übersetzungsaufträge, die ich an Land ziehe, Englisch ist. Gefühlt ist aber seit eh und je Französisch meine erste Fremdsprache. Um die nicht weiter ungenutzt schlummern zu lassen, habe ich mich entschieden, ein analoges Programm aufzustellen. Zum Vertiefen der Grundlagen nutze ich die Hachette-Reihe Alter Ego plus sowie die Praktische Grammatik der französischen Sprache von Reumuth/Winkelmann. Im Internet und auch als App bietet TV5Monde ein breites Spektrum audiovisueller Möglichkeiten, in die französische Sprache einzutauchen. Mein absoluter Favorit ist dabei Le JTNT, eine etwa 5-minütige, wöchentliche Sendung, in der sich der Moderator Antoine Fonteneau in sympathischer Atmosphäre mit einem Fachmann über die neuesten technologischen Entwicklungen unterhält. Die ebenfalls empfehlenswerte App 7JoursLite erlaubt, sich kurzweilig in aktuelle Themen hineinzuhören und sich dabei den einschlägigen Wortschatz einzuprägen.

Was mir vor diesem Hintergrund nicht so gut gelingt, ist der Versuch, an einem Tag gleichzeitig beide Fremdsprachen zu trainieren. Dieses Vorhaben habe ich mit dem Gefühl aufgegeben, dass sich mein Sprachzentrum entschieden dagegen zu wehren scheint. Einverstanden ist es indes damit, von montags bis freitags die englische Sprache zu verinnerlichen und an den Wochenendtagen das Französischprogramm zu verfolgen. Und so mache ich es mittlerweile auch.  

Wann erreiche ist das Ziel?

Die Frage, wie lange ich an meinem Sprachreaktivierungsprogramm arbeiten möchte, stellt sich für mich nicht. Sprachpflege ist ein lebenslanger Prozess, was ich genau genommen immer bedauert habe, weil ich gern noch weitere Fremdsprachen auf hohem Niveau gelernt hätte, bis ich irgendwann zu der Einsicht kam, dass Qualität vor Quantität gehen muss. Sprachpflege ist für mich ein Hobby geworden, und mit seinem Hobby kann man nicht genug Zeit verbringen. Zudem ist sie ein wirksamer Kontrast zur manchmal harten Übersetzerarbeit. Nicht jeder Übersetzungsauftrag macht Spaß und dennoch möchte ich mir durch den Arbeitsalltag nicht die Freude an den Fremdsprachen nehmen lassen. Deshalb ist der tägliche Wechsel zwischen Hobby und Gelderwerb ein guter Weg, beide Ziele zu verfolgen. Auch beim Blick in die Zukunft gibt mir das Sprachpflegeprogramm ein gutes Gefühl. Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen, die in gut 15 Jahren eine zahlenmäßig nie dagewesene Rentnergeneration bilden werden. Da kann es nur von Vorteil sein, wenn man seine geistigen Fähigkeiten in Schwung hält und sich beizeiten die Möglichkeiten schafft, auch später im fortgeschrittenen Alter auf dem Arbeitsmarkt noch etwas anzubieten zu haben. Oder, um das Ganze mit einer ZEN-Weisheit zusammenzufassen: In allen Dingen hängt der Erfolg von der Vorbereitung ab. (cm)

(Veröffentlicht in der MDÜ, Ausgabe 3/2014: Dienst an der Sprache)

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